Cirque Gourmet 26

ier kommt man nicht einfach her, hier wird man eingeführt. Mit einer unscheinbaren Metalltür öffnet sich in St. Lorenzen eine ganz eigene Welt. Denn alles, was Hubert Stockner in seinem »GenussBunker« tut, ist mit einem Hauch Alchemie versehen. Die Umwandlung der Materie vollzieht sich Dutzende Meter tief im Berg – aus weichen Käselaiben wird über Monate schnittfestes Gold. »Es geht um Fingerspitzengefühl und viel Erfahrung«, bringt Hubert auf den Punkt, was seine Profession ausmacht. Wann ein Käse so weit ist, lässt sich nur erahnen. Kernbohrungen zum Reifetest würden nicht nur den Teig zerstören, sondern auch Bakterien eindringen lassen. Nicht, dass diese gänzlich unerwünscht wären, aber lieber sieht sie Stockner außen. Etwa das »Brevibacterium Linens«, das zur Rotkulturreifung gehört. Steckenpferd im Bunker sind aber Neukreationen durch Reifung. »Das da ist etwa ein Caciocavallo«, führt der Südtiroler durch die stille Welt mit 100 Prozent Luftfeuchtigkeit. Gefunden hat sein ungewöhnlicher Reifeort ihn, nicht umgekehrt. Denn Stockner ist einer der wenigen Affineure, der tatsächlich eine Käserei-Ausbildung hat. In Nordtirol und dem Allgäu zum Meister geworden, stand danach eine Molkereikarriere am Plan. »Ein Milchlieferant hat mir dann von seinem Bunker erzählt«. Der stand unter Wasser und musste in mühseliger Kleinarbeit getrocknet, ausgekiest und mit Licht versehen werden. So ganz genau weiß heute keiner mehr, weshalb Benito Mussolini ihn einst graben ließ. Doch die heutige genussvolle Nutzung erfreut ohnehin alle mehr. Im Bunker gibt es kein Chutney Wobei der Affineur auch klare Vorgaben macht. So reift bei ihm nur Käse ohne Zusätze, auch beim Verkosten gibt es maximal Brot. Nach Chutneys sollte man gar nicht erst fragen. Experte ist der Herrscher des Genussbunkers für die Pairings mit Bier, eine geniale, aber unterschätzte Einsatzmöglichkeit. Vor allem dafür kommen Gäste in den kühlen Stollen, dem ein Kostraum vorgelagert ist. Detailverkauf gibt es keinen für die Käsekreationen, die Stockner und sein »84-jähriger Lehrbua« (alias: der Vater) jede Woche wenden. »Sonst entstehen feuchte Stellen, und eine gleichmäßige Reifung – sie erfolgt von außen nach innen – gehört zur Berufsehre der Affineure. Im konkreten Fall geht es auch um den leicht erdigen Geschmack, die Stockner »Bunker-Note« nennt, und die vor allem dem Blauschimmel einen merklich erdigen Kontrapunkt zur Pikanz verleiht. Der Renner im Verkauf ist aber der »Genussjäger«, ein acht Monate gereifter Schweizer Bergkäse, in den knapp zwei Jahren Entwicklung flossen. »Ich muss den Käse früh bekommen, sonst hat er schon zu viel Eigencharakter«, erzählt Hubert beim Verkosten dieses Rohmilchkäses, bei dem die Milchzuckerkristalle einen Kontrast zum pikanten Geschmack darstellen. Dass man in Frankreich auch vom »Erziehen des Käses« spricht, lässt sich bei solchen Aussagen gut nachvollziehen. Zumal es immer noch viel Versuch und Irrtum gibt beim Affinieren. »Den habe ich zum Wenden vergessen«, schneidet Stockner einen zwei Jahre alten Käse an. »Auch wenn er nach 14 Monaten auf den Markt hätte kommen sollen, schmeckt er mit seiner herbnussigen Rinde perfekt.« H Foto: Tiberio Sorvillo »Unsere Leidenschaft gilt Käse, wie ihn der Gast nicht kennt – etwa schon verflüssigter Graukäse, den wir in der Tasse reichen.« GREGOR WENTER, GENIESSERHOTEL BAD SCHÖRGAU 47 Cirque Gourmet 2023/24

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