12 Cirque Gourmet 2024/25 GastroWIR SEXUELLE WennSie aufwendig kochen, gutes Geld für seltsame Küchengeräte ausgeben und viel darüber reden sindSie »gastrosexuell«. bwohl ich es nicht mag, wenn eine Kolumne mit »Früher...« beginnt, mach ich es heute doch. Also: Früher waren Gäste mit dem, was auf den Tisch kam, glücklich. Es gab Gespräche über Politik, Religion und Sex. Beim Small Talk wurde gelacht und ein bisserl geschweinigelt. Heute ist der Small Talk bei Einladungen tiefernst und dreht sich ums Essen, Kochblogs, Kochshows und Lokaltipps. Liebe Freunde, wir sind alle gastrosexuell, aber ganz besonders sind es die Männer, die das Kochen für sich entdeckten. Sie investieren ihr schwer verdientes Geld in Fetisch-Gerätschaften wie Niedertemperatur-Garer und Messer-Sets, die so teuer wie ein Weekend in Paris sind. Gefällt das einer Frau? Ich glaub schon. Früher hatte ein kochender Mann die Erotik einer Weinbergschnecke, heute bekommt er schon bei dem Versprechen, für sie zu kochen, Standing Ovations. Wenn ein gastrosexueller Mann von oralen Freuden redet, meint er nicht den Duft seiner Partnerin, sondern seinen letzten cremigen Fond. Mit einem augenzwinkernden »Vorher« schwärmt er nicht von zärtlichen Fingerspielen, sondern von einem neuen Amuse Geule. Bei dem Stichwort »erogene Zonen« denkt er nicht an die zarte Haut der OberschenkelInnenseite, sondern an die Souvide Temperatur von Rindfleisch, das er vor dem Verzehr mit triumphierendem Gesichtsausdruck der Tischrunde präsentiert. Merke: Die echten Höhepunkte erlebt der gastrosexuelle Mann nicht im Schlafzimmer, sondern am Herd. Liebe Freunde, falls Ihr es noch nicht bemerkt habt, wir sind alle gastrosexuell. Mit Geschichten übers Essen kommen wir schneller ins Gespräch als mit jedem anderen Thema. Kein Abendessen mit Freunden, bei dem nicht über neue Lokale, Würzen, Abschmecken oder Montieren philosophiert wird. Großen Gesprächsanteil haben Nahrungsmittelaversionen. Knoblauch oder Zwiebel sind ein No-Go. Das Kalorienthema ist out, wichtiger sind die Fragen von Gut und Böse. Fleischesser sind böse, Vegetarier sind bessere Menschen. Einem eindrucksvollen Plädoyer über Fleischabstinenz folgt eine Hetzrede gegen Paniertes und Ekelkundgebung gegen Hühnerfleisch. Nein, danke, dann lieber gleich eine Antibiotika-Kapsel. Auch ein paar Worte über Glutamat-Ängste, LaktoseIntoleranz und Histamin-Überempfindlichkeit müssen sein. Entschuldigung, jetzt bin ich vom Thema abgekommen. Wo waren wir stehen geblieben? Ach ja, bei den gastrosexuellen Tischgesprächen. Wurde früher von exotischen Urlauben geschwärmt, ist jetzt von neuen Gerätschaften wie Kombidämpfer oder Rotationsevaporator, den oralen Texturen handgerührter Saucen und dem unvergleichlichen Hintern eines französischen Schwarzfederhuhnes die Rede. Erst beim Verabschieden, zwischen Tür und Angel mit Mantel und Schal angepampft, kommen doch noch die großen Themen zur Sprache. Da staut sich dann ein Trüppchen im engen Vorzimmer oder auf der Straße, und es flammen Gespräche über Politik, Religion und wirklichen Sex auf. Auch wenn es vorher drei gastrosexuelle Stunden gab, geht wegen dieser letzten Minuten der Abend als inspirierend durch. Danke für die Einladung. Nächstes Mal bin ich dran. Da gibt’s dann Erdäpfelgulasch. Versprochen. SATIRE O »Höhepunkte erlebt der gastrosexuelle Mann nicht im Bett, sondern amHerd.« Text: Prof. Dr. Gerti Senger-Ernst
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