Wachau Magazin 2020

WA C H A U M A G A Z I N 2 0 2 0 | 15 W E LT E R B E 14 | WA C H A U M A G A Z I N 2 0 2 0 Romantische Ruinen, heitere Barockhäuser, wehrhafte Kirchenbauten und Klöster von Weltruf: Eine über Jahrhunderte entstandene Architektur purer Lebenslust, die nun auch spektakuläre moderne Akzente ins neue Jahrtausend setzt. Text: Hans Schloemer STEINGEWORDENE SCHÖNHEIT echter Haken, linker Haken. Kurz antäuschen. Dann eine satte Gerade und wieder die Fäuste hoch zur Deckung. Boxen, richtig viel boxen, supertoll! Wer hat da noch groß Interesse an einem der schönsten Arkadenhöfe Österreichs, dem Barock-Portal mit dem Wappenstein des Chorherrenpropstes Christoph Müller von Prankenstein? An der originalen Fassade vom Ende des 17. Jahrhunderts mit ihren ovalen, kreis- und kartuschenför- migen Putzfeldern, den verwunschenen Gewölben … Na, der kleine Karl bestimmt nicht! Der wilde Boxer vom Prandtauerhof in Joching bei Weißenkirchen hatte sich in der ersten Etage der Barockanlage einen Boxring gebastelt. Zehn Jahre war er damals jung. Eishockey spielen auf den Wirtshaustischen fand er auch ziemlich gut. EIN JUWEL IN VOLLER BLÜTE Heute ist der große Karl selbst Vater zweier Buben. Und er hat deutlich mehr Respekt gewonnen gegenüber seiner außergewöhnlichen Heimstatt, dem ehemaligen Weinlese- hof des Chorherrenstifts von Sankt Pölten aus dem Jahr 1308. Die Verwandlung in ein barockes Juwel geschah indes erst 1696 durch den Baumeister Jakob Prandtauer (1660–1726), einem Stararchitekten des Barocks. 1962 be- schädigte ein Brand die große Vierflügelanlage. 1968 kaufte die Familie Holzapfel das nahezu verfallene Gebäude und begann mit einer behutsamen Revitalisierung als Gasthaus und Weingut. »Unsere Wohnung war weder groß und komfortabel und schon gar nicht barock«, erinnert sich Karl Holzapfel. »Dass der Prandtauerhof etwas Besonders war, hatte ich als Kind nicht weiter bemerkt, wohl aber die harte Arbeit der Eltern.« Später ging er in die USA, arbeitete für diverse Kellereien. Als er zurückkehrte, baute er in den mittelalterlichen Ge- wölben des Hofes zunächst eine moderne Schnapsbrenne- rei auf, später sammelte er als Winzer Erfolge. 1994 löste Karl Holzapfel gemeinsam mit seiner Frau Barbara die El- tern ab. Längst steht der Prandtauerhof wieder in voller Blüte und gilt für viele Besucher als eine Inkarnation der Wachau: Wein, Genuss, Romantik, heiteres Barock. Man schlemmt vom Feinsten im blütensatten Arkadenhof, spricht formidablen Grünen Veltlinern von tiefer Mineralität und elegantester Textur zu, nächtigt in gemütlichen Land- hauszimmern. Das hat sich somit in über 700 Jahren nicht geändert: Damals wie heute dienen Perlen der Wachau-Ar- chitektur der Weinerzeugung und dem guten Leben. BLUECHIPS DES MITTELALTERS »Auf den Logenplätzen stehen immer die Lesehöfe als Veredlungsort von Wein über die Jahrhunderte hinweg«, bestätigt Toni Bodenstein. Der Ex-Bürgermeister von Wei- ßenkirchen ist nicht nur ein bekannter Weinmacher, son- dern auch eine Quelle des historischen Wissens über seine Heimatregion. Auf dem Gelände seines Weinguts Prager ist seit 1302 Weinanbau dokumentiert. Bodensteins Schwie- gervater Franz Prager war einer der Wegbereiter des welt- weiten Erfolgs der Wachauer Weißweine. Allein Weißenkirchen hat 40 Lesehöfe. Und noch mehr his- torische Substanz: 80 Prozent der Häuser in dem idyllischen Donaustädtchen, dessen Mittelpunkt die imposante Wehr- kirche Mariae Himmelfahrt bildet, sind älter als 500 Jahre. R Und über allem thront die üppige und sinnenfrohe Pracht des Barock: Die Häuser von Melk scheinen sich geradezu an das alles überragende Stift anzukuscheln. Foto: www.extremfotos.com »Wenn unsere Sehnsucht stirbt, dann stirbt der Himmel.« Pater Martin Rotheneder

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