Wachau Magazin 2020
16 | WA C H A U M A G A Z I N 2 0 2 0 W E LT E R B E »Seit der Zeit Karls des Großen gibt es in der Wachau ein Wettrennen um die besten Plätze,« sagt der Hobby-Histo- riker. »Karl war es auch, der den Bischöfen Weingärten an der Donau schenkte.« Weinbau, so Bodenstein, war im Mit- telalter das Investment Nummer eins, ein echter Bluechip. Klöster aus Böhmen, Bayern, Salzburg, Niederösterreich produzierten ihren Wein in der Wachau. Bodenstein: »Auch Grafen und reiche Bürger hatten Weingärten erworben. Und weil die Reben so viel Wertschöpfung brachten, konnte man in Architektur investieren. Die Gebäude wurden hoch- wertig gestaltet und ausgeschmückt.« Man zeigte, was man hatte, und dass man sich vor nachbarlichen Unter- nehmungen, zumeist in klösterlicher Hand, keinesfalls ver- stecken musste. PROPST MIT LUSTSCHLOSS Dass die holde Geistlichkeit aber immer noch einen drauf- setzen konnte, bewies ein im wahrsten Sinne durch und durch barocker Katholik namens Hieronymus Übelbacher (1674–1740). Seines Zeichens Propst von Dürnstein, ließ er das örtliche Augustiner Chorherrenstift in ein prunkvolles Barockjuwel verwandeln. Noch mehr barocke Lebensfreunde strahlt das nach Plä- nen von Jakob Prandtauer in den Jahren 1714 bis 1719 er- baute Kellerschlössel aus. Sinn und Zweck des mit Fresken, Stuck und Wandmalereien überreich geschmückten Ge- bäudes: das Schnabulieren edler Tropfen. Hieronymus Übelbacher hatte sich sein persönliches Lustschloss für Weinverkostungen in die Weingärten bei Dürnstein setzen lassen. Der gute Propst war nämlich ein Zecher vor dem Herrn und dazu überaus schreibfreudig. In seinen »Satyren« dichtete er weinselig: »Wer weis als ich zu erst der mutter milch genoss, ob nicht auch gueter wein aus ihren brüsten floss?« Er notierte aber auch mehr oder weniger nüchterne Prosa: »Heute war wieder ein Tag des Herrn. Es wurde nicht gearbeitet, war alles besoffen …« Das Kellerschlössel ist mit seinem 250 Meter langen Keller das Wahrzeichen der Domäne Wachau, der Genossenschaft Wachauer Winzer, und eines der besten Weißweingüter Österreichs. Im Laufe der Jahrhunderte hatte das Schmuck- stück viele berühmte Gäste. Das ausgiebige Verkosten eines Veltliners namens »Katzensprung« soll sogar Weltge- schichte geschrieben haben. Im Rahmen der Verhandlungen zum Staatsvertrag für ein unabhängiges Österreich traf sich in den 1950er-Jahren der damalige Bundeskanzler Leopold Figl mit dem sowjeti- schen Außenminister Molotow in Übelbachers Dürnsteiner Lustschloss. Das hatte offenbar beste Auswirkungen auf den finalen Vertrag. »Mit seinem Schmäh und dem guten Wein hat der Figl Österreich buchstäblich freigetrunken«, schmun- zelt Heinz Frischengruber, Kellermeister der Domäne. GROSSES KINO AN DER DONAU Geradezu hollywoodgerecht präsentiert sich Dürnstein mit seinen 85 denkmalgeschützten Gebäuden auf ei- nem Felsplateau über dem Wasser vor der malerischen Burgruine der Kuenringer. Dort oben wurde Ende des 12. Jahrhunderts der englische König Richard Löwenherz gefangen gehalten. Weithin sichtbar ist die Stiftskirche mit ihrem blauen Turm und das Schloss Dürnstein, in dem sich heute ein Luxushotel befindet. Herausragend auch das Rathaus mit seinem großartigen Innenhof, erst spätgotisch, dann 1563 im Stil der Renaissance umge- staltet. »Dürnstein ist die größte Merkwürdigkeit, eine Stadt als Theater«, sagt Gottfried Thiery. »Eine so vollkommene Ein- heit von Strom, Fels und Bauwerk höchsten künstlerischen Wertes gibt es in ganz Mitteleuropa nicht noch einmal.« Der Wiener Rechtsanwalt ist in den Mauern des ehemali- gen Klarissinnenklosters von 1289 groß geworden, wo seine Familie seit 1884 das Hotel Richard Löwenherz betreibt. In Dürnstein bewohnt er inzwischen eine neoklassizistische Villa am Burgweingarten, den er sanieren und teils neu bepflanzen ließ. Dieses Kleinod der Terrassenbaukunst ist seit 1476 auf dem Wappen der Stadt Dürnstein abgebildet, die älteste Ansicht eines Weingartens weltweit. »Bereits im 11. Jahrhundert haben Menschen mit einem besonderen räumlichen Vorstellungsvermögen begonnen, das steile Gelände zu terrassieren, um darauf Wein zu pflan- zen,« erklärt Thiery. »Die unbekannten Baumeister haben die Wachau mit bloßen Händen geformt. Für mich sind sie die wahren Architektur-Champions des Donautales!« Die monumentalen Steinterrassen, sogenannte »Himmels- stiegen«, ließen sogar Klöster, Burgen und Lesehöfe zu schmückendem Beiwerk werden. Thiery: »Die Landschaft tritt in Vorleistung. Für Architekten ein aufgelegter Elf- meter, den sie nur noch verwandeln müssen.« TÄNZERISCHE SKULPTUR ALS LANDESMUSEUM In dieser epochalen, gewachsenen Kulturlandschaft ist es für die moderne Architektur eine große Herausforderung, mit neuen Gebäuden auch heute noch diesen Elfer zu ver- wandeln. Also einen Stil zu finden, der ebenfalls die Quali- tät in sich birgt, ein Ausrufezeichen unserer Zeit zu setzen und gleichzeitig ein ebenso selbstverständlicher Bestand- teil dieser Kulturlandschaft für die nächsten Jahrhunderte zu sein. Mit der neuen Landesgalerie Niederösterreich als finalen Abschluss der Kunstmeile Krems mit Kunsthalle, Karikatur- museum, Forum Frohner, Minoritenkirche, Artothek, Mu- seum Krems und Dominikanerkirche hat Bernhard Marte vom Vorarlberger Architekturbüro marte.marte einen Bau geschaffen, der – so Elke Delugan-Meissl, die Vorsitzende des Architekturwettbewerbes – »einer ›tänzerischen Skulp- tur‹ gleicht«. »Dürnstein ist die größte Merkwürdigkeit, eine Stadt als Theater.« Gottfried Thiery Vorhang auf für Dürnstein: Aus der Vogelperspektive ist gut zu erkennen, wie der blaue Kirchturm des Augustiner Chorherrenstifts aus dem stadtarchitektonischen Gesamtkunstwerk heraussticht. Nicht von ungefähr ist er das Wahrzeichen der Wachau. Foto: www.extremfotos.com
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