Wachau Magazin 2020

Fahrzeug entsprechen könnte. Aber angetrieben wird die Argo noch mit Wind- und Ruderkraft. Beim Passieren des Deltas kann der Versuchung nicht widerstanden werden, die Donau zu erkunden. Immer weiter wird stromauf- wärts gefahren. Und wenn der Wind nachlässt und die Glieder vom Rudern ermattet sind, dann springt Herakles/Herkules, der Sohn des Zeus, ein. An einem langen festen Seil zieht er die Argo mit seinen Freunden stromauf- wärts. Er sollte der erste Schiffszieher (= Treidler von [spät-]lat. tragulare) an der Donau werden. Und für musikalische Unterhaltung sorgt niemand ge- ringerer als Orpheus, der Star unter den Sängern der Antike. Der Überlieferung nach erreicht die Argo sogar die Wachau: Phanos und Phlias, zwei mitreisende Söhne des Dionysos, treffen in diesem Durchbruchs- tal bei Dürnstein die Verfügung, dass hier ein großes Weinbaugebiet entste- hen werde: se non è vero, è ben trovato. Jedenfalls die Prophezeiung erfüllte sich mehr als überzeugend. IV. DIE RÖMER KOMMEN Nicht die Griechen, sondern die Römer bringen moderne Technik für die Flussschifffahrt nachhaltig an die Donau. Im Zentrum des römischen In- teresses nördlich der Alpen steht die Donau als bedeutende Erweiterung des Netzwerkes von Fluss-, Land- und Seerouten, das für den Bestand des Riesenreiches lebensnotwendig war. Mit der Fließgeschwindigkeit der Donau konnten die Römer auf der Donau die Fahrt Richtung Osten mit höherer Geschwindigkeit bewältigen als auf dem Mittelmeer. Die an der Donau gelegenen Legions- und Garnisonslager hatten gut aus- gebaute Häfen als Flottenstützpunkte. Nachrichtenübermittlung, Truppen, Waren- und Rohstofftransport über die Zubringerflüsse der Ostalpen erfolgte in bis dahin unbekannter Effizienz und Geschwindigkeit. Nach der Aufgabe des Limes und der Transformation des weströmischen Reiches in zahlreiche Königreiche blieb die Technik der Schifffahrt auf dem Fluss als ein Teil einer großen Erbmasse erhalten. Sie wurde in Ostrom (Byzanz) noch weiter verfeinert. Die Zunft der Schiffsleute war auf der Donau nicht mehr wegzudenken. uneinheitlich und ausdifferenziert, könnte die Donau die- sen Wahlspruch der Europäischen Union eingeflüstert haben. Als einigendes Band für unterschiedliche Kulturen und Völker lebt der Strom das Motto der Europäischen Union seit Jahrtausenden vor. III. JASONS FAHRT AUF DER DONAU Die erste Befahrung der Donau mit einem Schiff unterneh- men der Sage nach Jason und seine Freunde. Das Goldene Vlies, das Fell eines Widders, der fliegen und sprechen konnte, soll mit sehr leidvollen und grausamen Verstrickun- gen gewonnen werden. Es war ein »adventure trip« der Superlative wie aus der Werkstatt von Marvel. Kurz vor Ausbruch des Trojanischen Krieges sucht eine Schar von rund 80 jungen Männern Abenteuer am Schwarzen Meer. Die Liste der Teilnehmer liest sich wie ein »Who’s who« der griechischen Sagen- und Götterwelt. Söhne von Göttern wie Zeus, Dionysos, Poseidon, Hermes und auch spätere Könige und Väter von Troja-Kämpfern wie Laertes, der König von Ithaka und Vater des Odysseus, sind mit von der Partie. Ihr Schiff, die Argo, war mit einem sprechenden Rumpf aus- gestattet, was einem mit viel Elektronik ausgestatteten I. EUROPA ALS GESCHENK DER DONAU »Ägypten ist ein Geschenk des Nils«, schrieb der große Herodot schon im 5. Jhdt. vor Christus. Der Nil gibt der trockenen Landschaft Afrikas Leben und den Menschen ein wirtschaftliches Rückgrat. Europa wiederum ist ein Geschenk der Donau. In einem wesentlich nasseren Klima vermittelt die Donau Lebens- energie. Sie bildet die Straße, auf der die Menschen seit Jahrtausenden west- und ostwärts quer durch Europa ziehen, fast 3000 Kilometer. Mit Fug und Recht ist die Donau neben Ganges, Rio de la Plata und Nil am Vier-Flüsse-Brunnen in Rom prominent vertreten. Ihr Flussgott Danuvius residiert in der Pracht der Piazza Navona, dem ehemaligen Stadion des Kaisers Domitian. Dunav, Duna, Dunarea, all diese Namen der Donau in verschiedenen Sprachen leiten sich vom Fluss- gott der Römer ab. Im östlichen Verlauf hieß sie in der Antike auch »Istros«. Ihre Strömungsrichtung gegen die aufgehende Sonne veranlasste Herodot sie als »Sonnen- trotzerin« zu loben. Im Schlosspark von Donaueschingen weist in einer stei- nernen Figurengruppe Mutter Baar (eine Landschaft) der jungen Donau, dargestellt als Mädchen, die Richtung ihres 2.857 Kilometer langen Lebensweges zum Schwarzen Meer. Dort kommt sie als gereifte Frau an. II. »IN VIELFALT GEEINT« Die kulturelle und geschichtliche Vielfalt der Städte und der Landschaften, die die Donau durchfließt, ist unerreicht. Von den großen Strömen dieser Erde kommt nur der Donau eine ausgeprägte internationale Stellung zu. Sie durch- strömt und berührt nicht ein Landesgebiet von einheitli- cher politischer und ethnographischer Gestaltung, sondern so viele wie kein anderer Fluss auf der Erde: Deutschland, Österreich, Slowakei, Ungarn, Kroatien, Serbien, Bulgarien, Rumänien, die Republik Moldau und die Ukraine. Die Donau durchquert mit Wien, Bratislava, Budapest und Belgrad vier Hauptstädte. Bratislava und Wien sind die am engsten zusammenliegenden Metropolen dieser Erde: Dies alles ist ein schönes natürliches Band von Ländern, deren staatspolitische Gruppierung zueinander mannigfache Wandlungen erfahren. Im Laufe der Geschichte finden an der Donau über 40 verschiedene Nationalitäten ihren Platz. Nach Karl Kraus finden sich allein im mittleren Donauraum sechs Sprachen (ungarisch, slowakisch, serbisch, kroatisch, rumänisch, deutsch), fünf Konfessionen (Katholiken in Österreich, Ungarn, der Slowakei und Kroatien; Protestan- ten in Ungarn und Siebenbürgen; Orthodoxe in Serbien und Rumänien; Muslime in Bosnien sowie Juden) und drei Al- phabete, lateinisch und kyrillisch, sowie bis ins 19. Jahr- hundert noch osmanisch in arabischer Schrift. Seit 2000 lautet das offizielle Motto der EU »In Vielfalt ge- eint«. In historischer und kultureller Hinsicht hochkomplex, Die »Maria Anna« revolutionierte das Transportwesen auf der Donau und ersetzte langsam aber unaufhörlich die Muskelkraft der Pferde durch Dampfmaschinen. Und sie brachte bald auch erste Passagiere als Ausflügler und Reisende in die Wachau. Links: Aquarell »An Bord des Dampfschiffes Maria Anna 1837« von Rudolf von Alt. MARIA ANNA – ein Geschöpf des Prometheus Die Maria Anna war das erste mit Maschinenkraft eigenständig gegen den Strom fahrende Schiff auf der Donau. Am 13. September 1837 legte sie im Donaukanal oberhalb der Franzensbrücke von Wien nach Linz ab. Die Leistung des Schiffes war beeindruckend. Bereits am 17. September um acht Uhr morgens legte sie an der Linzer Donaulände an, wo sie eine begeis- terte Menge begrüßte. Das erste Mal war ein Schiff von Wien nach Linz gekommen, das nicht von Pferden stromaufwärts gezogen wurde. Nur 55 Stunden und 22 Minuten hat es gebraucht. Diese Geschwindigkeit erscheint heute sehr langsam. Im Vergleich zum Treideln war dies aber extrem schnell. Für die Strecke Wien – Linz benötigten Schiffszüge bis zu diesem Zeitpunkt bei günsti- gem Wasserstand 14 Tage, bei schlech- ten Bedingungen doppelt so lange. Die Schiffe waren vom frühen Morgen bis zum Einbruch der Dunkelheit unterwegs. Diese Schiffszüge wurden von bis zu 50 Pferden auf den Treppelwegen gezogen. Im Sommer konnte die Strecke wegen der lang andauernden Helligkeit schneller als im Spätherbst bewältigt werden. Zurück nach Wien fuhr die Maria Anna zwei Tage später am 19. September. Mit der Strömung war sie in nur 9 Stunden und 30 Minuten wieder in der Residenzstadt. Das war die bis dahin schnellste Fahrt auf der Donau stromabwärts. Für die Menschen kam die Maria Anna einem Geschöpf des Prometheus gleich. Foto: DDSG Blue Danube Foto: Art Collection 2 Alamy Stock Foto Foto: INTERFOTO Alamy Stock Foto Sagenumwoben: die abenteuerliche Reise der Argonauten auf der Suche nach dem »Goldenen Vlies«, die sie der Legende nach auch an die Donau verschlug. WA C H A U M A G A Z I N 2 0 2 0 | 33 Z E I T R E I S E 32 | WA C H A U M A G A Z I N 2 0 2 0

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